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Mehr als ein Alpha

Primatenstudien stellen männliche Dominanznormen in Frage

Peer-Reviewed Publication

Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology

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A group of chacma baboons in the middle of a grooming session. On the left, the larger male has his fur cleaned by a smaller female with a baby. In this species, males are dominant over females.

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Credit: © Élise Huchard

Auf den Punkt gebracht

  • Die Machtverhältnisse zwischen Männchen und Weibchen sind nicht so eindeutig, wie man denkt: In den meisten Primatenarten gibt es keine klare Dominanz eines Geschlechts über das andere.
  • Evolutionäre Faktoren bestimmen, wer in welchen Situationen Macht hat: Männchen haben Macht, wenn sie physisch stärker sind, während Weibchen verschiedene Wege nutzen, um Macht über Männchen zu erlangen.

Neue Erkenntnisse von Forschenden der Universität Montpellier, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen erklären, warum sich Primatenarten darin unterscheiden, welches der Geschlechter die Macht hat. Durch die Analyse von aggressiven Interaktionen zwischen Männchen und Weibchen in 253 Populationen von 121 Primatenarten zeigt die Studie, dass in den meisten Fällen keines der Geschlechter eine klare Dominanz über das andere hat. Die Ergebnisse zeigen die Bedingungen auf, unter denen Weibchen in der Evolutionsgeschichte der Primaten eine soziale Dominanz über Männchen erlangt haben.

Konflikte zwischen Männchen und Weibchen sind häufig

Die umfassende Analyse der verfügbaren Daten über intersexuelle Aggression zeigt, dass Konflikte zwischen Männchen und Weibchen bei Primaten häufig vorkommen. In den meisten sozialen Gruppen findet fast die Hälfte aller aggressiven Interaktionen  zwischen einem Männchen und einem Weibchen statt. Bisherige Forschungen konzentrierten sich hauptsächlich auf Kämpfe zwischen Individuen des gleichen Geschlechts, da bestehende Theorien der sozialen Evolution annahmen, dass Männchen und Weibchen um unterschiedliche Ressourcen konkurrieren. „Die Beobachtung, dass in den meisten Populationen jedes einzelne Individuum eher in einem Kampf gegen ein Individuum des anderen Geschlechts als gegen eines des gleichen Geschlechts involviert ist, zeigt, dass der Kampf der Geschlechter bei anderen Tieren üblich ist“, sagt Dieter Lukas vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Die Studie analysiert auch die Ergebnisse solcher Konflikte: Wer gewinnt in der Regel, Männchen oder Weibchen, und wie variiert dieses Machtverhältnis zwischen den Arten?

Es wurde lange angenommen, dass Macht bei Primaten tendenziell bei Männchen liegt und dass die wenigen emblematischen weiblich-dominanten Arten, wie Ringelschwanzlemuren oder Bonobos, eine Ausnahme darstellen, die einer besondere Erklärung bedarf. Stattdessen zeigt die neue Studie die Komplexität und Variabilität von geschlechterspezifischen Dominanzbeziehungen bei Primatenarten. Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum stellt fest: „Neuere Forschung hat begonnen, die traditionellen Ansichten von der männlichen Dominanz als Standard zu hinterfragen und unsere Studie liefert nun eine umfassendere Untersuchung der Variation in intersexuellen Dominanzbeziehungen.“ In ihrer Stichprobe wird eine eindeutige Dominanz der Männchen, bei der sie mehr als 90 Prozent der Konflikte gegen Weibchen gewinnen, nur in 25 der 151 Populationen mit quantitativen Daten beobachtet. Eine eindeutige weibliche Dominanz wird in 16 Populationen beobachtet, so dass 70 Prozent der Populationen mäßige oder keine geschlechterspezifischen Machtverhältnisse aufzeigen.

Bedeutung für unser Verständnis von Geschlechterbeziehungen

Das Forschungsteam testete fünf Hypothesen zur Erklärung der geschlechterspezifischen Unterschiede in den Dominanzbeziehungen und fand heraus, dass die Dominanz der Weibchen mit mehreren Schlüsselfaktoren verbunden ist. Weibliche Macht wird vor allem bei Arten beobachtet, in denen Weibchen monogam sind, eine ähnliche Körpergröße wie die Männchen haben, oder in denen sie hauptsächlich in Bäumen nach Nahrung suchen - alles Situationen, in denen Weibchen mehr Entscheidungsfreiheit haben, ob sie sich mit einem bestimmten Männchen paaren wollen oder nicht. Darüber hinaus wird weibliche Dominanz auch in Situationen begünstigt, in denen Weibchen einem intensiven Wettbewerb um Ressourcen ausgesetzt sind, wie bei einzelgängerischen oder paarlebenden Arten, sowie wenn Konflikte zwischen Männchen und Weibchen weniger gefährlich für ihre abhängigen Nachkommen sind, zum Beispiel, weil Mütter ihre Nachkommen bei der Futtersuche absetzen anstatt sie mit sich herumzutragen.

Im Gegensatz dazu überwiegt die männliche Dominanz bei Arten, die sich auf dem Boden bewegen, bei denen die Männchen größere Körper oder Waffen als die Weibchen haben, und bei denen sich die Männchen mit mehreren Weibchen paaren. „Während Primatenmännchen ihre Macht durch körperliche Gewalt und Zwang erlangen, beruht die Macht der Weibchen auf alternativen Wegen, wie etwa Fortpflanzungstrategien, mit denen sie die Kontrolle über Paarungen erlangen“, erklärt Elise Huchard von der Universität Montpellier.

Die Ergebnisse der Studie haben wichtige Auswirkungen auf unser Verständnis der Evolution des Sozialverhaltens bei Tieren und können auch unser Verständnis der menschlichen Sozialbeziehungen erhellen. Die Erkenntnis, dass es fast genauso wahrscheinlich ist, dass Weibchen über Männchen dominieren als umgekehrt, und dass es bei den meisten Primatenarten kein eindeutiges Machtgefälle zwischen den Geschlechtern gibt, stellt traditionelle Ansichten über die natürlichen Ursprünge von Geschlechterrollen in Frage. Der Mensch weist nicht alle Merkmale auf, die für Arten charakteristisch sind, in denen Männchen die Weibchen eindeutig dominieren. Vielmehr sind die menschlichen Merkmale eher mit Arten vergleichbar, bei denen die Beziehungen differenzierter sind und bei denen Individuen beider Geschlechter Macht erlangen können. Dementsprechend erscheinen Argumente, die das menschliche Patriarchat als ein Erbe der Primaten darstellen, unangebracht - und die Geschlechterbeziehungen sollten in Bezug auf ihren sozialen und ökologischen Kontext betrachtet werden.


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