News Release

Verkehrsdichte, Wind und Luftschichtung beeinflussen die Belastung mit dem Luftschadstoff Stickstoffdioxid

Leipziger Forscher wenden Verfahren an, um Wettereinflüsse aus den Daten zur Luftverschmutzung herauszurechnen

Peer-Reviewed Publication

Leibniz Institute for Tropospheric Research (TROPOS)

Dresden

image: Traffic density, wind and air stratification influence the pollution with the air pollutant nitrogen dioxide, according to the conclusion of a TROPOS study commissioned by the LfULG. view more 

Credit: Burkhard Lehmann, LfULG

Leipzig/Dresden. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie sorgten Satellitenmessungen für Schlagzeilen, die zeigten, wie stark der Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) in China und Norditalien zurückgegangen war. In Deutschland ist die Verkehrsdichte der entscheidende Faktor. Daneben hat aber auch das Wetter Einfluss auf die NO2-Konzentrationen, so eine Studie des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS), das im Auftrag des Landesumweltamtes (LfULG) den Einfluss von Wetterlagen auf die Stickstoffdioxid-Konzentrationen in Sachsen 2015 bis 2018 ausgewertet hat. Dabei zeigte sich, dass die Windgeschwindigkeit und die Höhe der untersten Luftschicht am Boden die wichtigsten Faktoren sind, die darüber entscheiden, wie stark sich die Schadstoffe lokal anreichern können.

Um den Einfluss verschiedener Wetterfaktoren auf die Luftqualität bestimmen zu können, hatte das Team ein statistisches Verfahren angewendet, das es ermöglicht, meteorologische Schwankungen aus langfristigen Messungen herauszurechnen. Die Luftqualität schwankt durch unterschiedliche Emissionen und den Einfluss des Wetters zum Teil sehr stark. Bisher war es jedoch schwierig abzuschätzen: Welchen Anteil haben gesetzliche Maßnahmen wie Umweltzonen oder Dieselfahrverbote und welchen Anteil hat das Wetter an der tatsächlichen Luftqualität? Mit dem angewendeten Verfahren wird das künftig einfacher.

Stickstoffdioxid (NO2) ist ein Reizgas, das die Schleimhaut der Atemwege angreift, als Oxidationsmittel zu Entzündungsreaktionen führt und die Wirkung anderer Luftschadstoffe verstärkt. Außerdem kann es als Vorläufersubstanz zum Entstehen von Feinstaub beitragen. Zum Schutz der Bevölkerung wurden in der EU Grenzwerte festgelegt: Für Stickstoffdioxid gilt ein Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (μg/m³). Zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung müssen Maßnahmen ergriffen werden, wenn diese Grenzwerte nicht eingehalten werden. So kam es 2018/2019 in Deutschland zu verschiedenen Maßnahmen, die von einer Reduzierung der Fahrspuren (z.B. in Leipzig) bis hin zu Fahrverboten für ältere Diesel-Kraftfahrzeuge (z.B. in Stuttgart) reichen.

Um die Wirksamkeit solcher Maßnahmen zu bewerten, wäre es hilfreich, den genauen Einfluss der Witterung zu bestimmen. Das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) beauftragte daher das TROPOS mit einer Studie zum Einfluss von Wetterfaktoren auf die NO2-Konzentrationen und stellte dazu seine Messdaten des sächsischen Luftgütemessnetzes sowie die meteorologische Daten zur Verfügung. Die Forscher konnten so aus vier Jahren Daten von 29 Stationen in Sachsen auswerten, die einen Querschnitt der Luftverschmutzung abbilden - von Stationen an Verkehrsschwerpunkten über städtische und ländliche Hintergrundstationen bis hin zu Stationen auf dem Erzgebirgskamm. Außerdem berechneten sie die Höhe der Bodenschicht in der Atmosphäre und ließen Daten der Verkehrszählstellen in Leipzig und Dresden in die Studie einfließen. Für die statistische Modellierung wurde eine Methode aus dem Bereich des maschinellen Lernens verwendet, deren Anwendung im Bereich Luftqualität erstmals 2009 von britischen Forschern veröffentlicht wurde.

Auf diesem Weg konnte mit der Studie nachgewiesen werden, dass die Verkehrsdichte an allen Verkehrsstationen maßgeblich für die Stickoxid-Konzentrationen verantwortlich ist. Daneben haben aber auch zwei Wetterparameter deutlichen Einfluss auf die Stickstoffdioxid-Konzentrationen: die Windgeschwindigkeit und die Höhe der sogenannten Mischungsschicht. Letzteres ist ein meteorologischer Parameter, der angibt, bis in welche Höhe die unterste Luftschicht am Boden reicht, in der sich die Schadstoffe mischen. „Außerdem zeigte sich, dass hohe Luftfeuchtigkeit ebenfalls die Stickstoffdioxid-Konzentration verringern kann, was daran liegen könnte, dass sich die Schadstoffe stärker an feuchten Oberflächen ablagern. Die genauen Ursachen hierfür sind aber bisher unklar“, so Dominik van Pinxteren.

Durch die statistische Analyse konnten die Forscher auch den Einfluss des Wetters aus den Zeitreihen der Schadstoffkonzentrationen „herausrechnen“: Witterungsbereinigt sank die Konzentration an Stickoxiden (NOx) im Mittel der verkehrsnahen Messstationen in Sachsen von 2015 bis 2018 um insgesamt 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Im städtischen und ländlichen Hintergrund sowie auf dem Erzgebirgskamm halten sich die NOx-Konzentrationen jedoch eher auf gleichbleibendem Niveau. Auch wenn sich in den letzten Jahren in Sachen Luftqualität einiges getan hat, gibt es aus Sicht der Wissenschaft gute Argumente, die Luftverschmutzungen weiter zu verringern.

Übertragen gilt das auch für vorschnelle Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise: Um herauszufinden, wie stark der Einfluss der Ausgangsbeschränkungen auf die Luftqualität tatsächlich war, müsste der Einfluss des Wetters in einer längeren Messreihe statistisch herausgerechnet werden. Dazu laufen zurzeit Untersuchungen für den Raum Leipzig am TROPOS, sowie eine europaweite Studie der EU-Forschungsinfrastruktur für kurzlebige atmosphärische Bestandteile wie Aerosol, Wolken und Spurengase (ACTRIS), deren deutscher Beitrag vom TROPOS koordiniert wird. Tilo Arnhold

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Publikation:

Dominik van Pinxteren, Sebastian Düsing, Alfred Wiedensohler, Hartmut Herrmann (2020): Meteorologische Einflüsse auf Stickstoffdioxid: Einfluss von Wetterlagen und Witterung auf die Stickstoffdioxid-Konzentrationen in der Außenluft 2015 bis 2018. Schriftenreihe des LfULG, Heft 2/2020

https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/35043

Diese Studie wurde vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) beauftragt.

Kontakte:

Dr. Dominik van Pinxteren
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Chemie der Atmosphäre
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Tel. +49 341 2717- 7029
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/dominik-van-pinxteren

und

Prof. Hartmut Herrmann
Leiter der Abteilung Chemie der Atmosphäre
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)
Tel. +49 341 2717- 7024
https://www.tropos.de/institut/ueber-uns/mitarbeitende/hartmut-herrmann

oder

Tilo Arnhold
TROPOS-Öffentlichkeitsarbeit
Tel. +49-341-2717-7189
http://www.tropos.de/aktuelles/pressemitteilungen/

Links:

LfULG-Projekt „Meteorologische Einflüsse auf Stickstoffdioxid“: https://www.luft.sachsen.de/Inhalt_FuE_Projekt_Witterung_NOx_Ozon.html

Welchen Einfluss hat die Witterung auf die Luftqualität? (Vortrag von Dr. Dominik van Pinxteren, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, beim Statuskolloquium »Luftqualität in Sachsen« 2019): https://www.luft.sachsen.de/download/8_Einfluss_Witterung_vPinxteren.pdf

Luftqualität in Sachsen - Stand und Ausblick (Vortrag von Dr. Andrea Hausmann, LfULG, beim Statuskolloquium »Luftqualität in Sachsen« 2019): https://www.luft.sachsen.de/download/9_Luft_Sachsen_Stand_Hausmann.pdf

weitere Vorträge des LfULG-Statuskolloquium »Luftqualität in Sachsen« vom 4. Dezember 2019 unter: https://www.luft.sachsen.de/statuskolloquium-luftqualitat-in-sachsen-15954.html

Stickstoffdioxid: Gesundheitliche Bedeutung von Grenzwerten (FAQ des Umweltbundesamtes): https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/luftschadstoffe-im-ueberblick/stickstoffoxide/stickstoffdioxid-gesundheitliche-bedeutung-von

Chemische Aerosolcharakterisierung und Prozessaufklärung am TROPOS: https://www.tropos.de/institut/abteilungen/chemie-der-atmosphaere/feldexperimente/chemische-aerosolcharakterisierung-und-prozessaufklaerung

COVID-19 campaigns by ACTRIS: http://www.actris.eu/Outreach/News/ACTRISUpdates.aspx

Hintergrundinformationen:

Der Einfluss des Wetters machte es bisher schwer, die Wirksamkeit von Verkehrsmaßnahmen auf die Reduzierung der Belastung mit dem Luftschadstoff Stickstoffdioxid zu beurteilen. Das liegt vor allem an dessen Entstehung: Stickoxide (NOx) entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen. In Ballungsgebieten gilt der Straßenverkehr als bedeutendste Quelle, wobei der größte Anteil dabei aus Dieselmotoren stammt. Diese emittieren Stickstoffdioxid und v.a. Stickstoffmonoxid (NO), welches über komplexe photochemische Prozesse in der Atmosphäre zu NO2 umgewandelt wird: Hohe Sonneneinstrahlung kann daher zu hohen NO2- und Ozonwerten (O3) besonders in städtischen Gebieten führen. Ebenfalls im Sommer können hohe Temperaturen vor allem in ländlichen Gebieten zu hohen Konzentrationen an biogenen flüchtigen organischen Verbindungen (BVOC) und damit zu einer erhöhten Umwandlung des NO zu NO2 führen. Wie stark sich die Konzentrationen von Spurengasen in der Luft über dem Boden anreichern, hängt allerdings auch vom Wetter ab: Dass windschwache Wetterlagen für hohe Schadstoffkonzentrationen sorgen können, ist lange bekannt. Vor allem bei Inversionswetterlagen im Winter kommen zwei ungünstige Faktoren zusammen: Wegen der Kälte wird viel geheizt und die hohen Immissionen reichern sich in einem kleinen Luftvolumen an. Hohe Schadstoffkonzentrationen sind dann die Folge. Vor allem Tallagen wirken dann sozusagen wie ein Topf, auf dem mit der Inversionsschicht in der Atmosphäre ein Deckel gestülpt wurde.

Die Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2) in Sachsen sind seit 2000 im Mittel zurückgegangen. Bis 2018 wurden jedoch noch Überschreitungen des NO2-Jahresgrenzwertes von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Im Oktober 2019 war beispielsweise die Stadt Leipzig gezwungen, Sofortmaßnahmen aus dem Luftreinhalteplan umzusetzen und den Verkehrsfluss auf mehreren Einfallsstraßen zu drosseln, weil die Modellierung zu hohe NO2-Werte in diesen Straßen vermuten hatte lassen.

Die angewandte Methode beruht auf sogenannten „verstärkten Regressionsbäumen“. „Das sind Entscheidungsbäume, mit denen ein mathematischer Algorithmus so ‚trainiert‘ wird, dass er anhand der Daten selbständig entscheiden kann, ob ein Faktor Einfluss auf die Schadstoffkonzentration hat und wenn ja, wie hoch dieser Einfluss ist. Ein Entscheidungsbaum besteht aus einer Abfolge von „wenn-dann“-Entscheidungen, die in ihrer Struktur einem Baum ähnelt, der sich ausgehend von der Wurzel immer weiter verzweigt, bis am Ende die „Blätter“ erreicht sind, wie die finalen Punkte eines Entscheidungsbaumes auch genannt werden“, erklärt Dr. Dominik van Pinxteren vom TROPOS, der die Methode für Sachsen anwendbar gemacht hat. „Ein Nachteil eines einzelnen Regressionsbaumes ist seine in der Regel nur mäßig gute Vorhersagegüte. Um diese zu verbessern, werden in modernen Anwendungen daher aus vielen Bäumen bestehende Ensembles berechnet. Die Vorhersage wird sozusagen aus dem gesamten „Wald“ gemittelt. So wird ein „schwacher Lerner“ (einzelner Baum mit begrenzter Tiefe) schrittweise zu einem „starken Lerner“ aufgebaut bzw. verstärkt, was im Ergebnis zu leistungsstarken Modellen führt, die in Bereichen des maschinellen Lernens weite Verbreitung gefunden haben.“

Detaillierte Ergebnisse:

Statistisch konnte das Team um Dominik van Pinxteren berechnen, dass z.B. an der Messstation Dresden-Bergstraße die Stickstoffdioxid-Konzentration durch Wind deutlich abnimmt: von Windstille bis 1 m/s Windgeschwindigkeit um 25 Mikrogramm pro Kubikmeter und zwischen einem und drei Meter pro Sekunde um weitere 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Ebenfalls um 10 µg/m3 nimmt NO2 ab, wenn sich die Mischungsschichthöhe von sehr bodennah auf eine mittlere Höhe von 500 m erhöht.


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