News Release

„Hyperauge“ aus der Urzeit entdeckt

Peer-Reviewed Publication

University of Cologne

image: Phacops geesops, a trilobite from the Devonian age. The animal's eyes consist of 200 single lenses each, spanning six small facets, which again form one eye each. view more 

Credit: Dr Brigitte Schoenemann

Ein internationales Forschungsteam hat bei Trilobiten der Unterordnung Phacopina aus dem Devon (390 Mio. Jahre v.h.) ein Augensystem gefunden, das im Tierreich einzigartig ist: Über einer Gruppe von sechs normalen Facettenaugen spannt sich die Linse eines Überauges. Die Forscher:innen unter Leitung der Kölner Zoologin PD Dr. Brigitte Schoenemann vom Institut für Didaktik der Biologie machten zusätzlich zu den Hyper-Facettenaugen noch eine Struktur aus, die sie für ein lokales neuronales Netzwerk halten, das die Informationen dieses speziellen Auges direkt verarbeitet und einen Sehnerv, der diese Informationen vom Auge zum Gehirn führt. Der Artikel „A 390 million-year-old hyper-compound eye in Devonian phacopid trilobites“ wurde in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Trilobiten sind Gliederfüßer, die einst die Weltmeere bewohnten und vor ca. 251 Mio. Jahren ausstarben. Die Entdeckung gelang, als Schoenemann mit ihren Kolleg:innen die Röntgenaufnahmen des Radiologen und Hobby-Paläontologen Wilhelm Stürmer aus den 1970er Jahren untersuchte. Stürmer hatte schon damals die Filamente unter den Trilobitenaugen für Nerven gehalten. Schoenemann fand auf den Aufnahmen auch Markierungen von Stürmer, die die sechs Unterfacetten bezeichneten. Stürmers Interpretationen wurden damals jedoch nicht von der Wissenschaft anerkannt. Nun gelang mit der erneuten Untersuchung der Aufnahmen und der Überprüfung mit moderner Computertomographie die Bestätigung der Vermutungen des Hobby-Paläontologen.
Die meisten Trilobiten verfügten über Facettenaugen, wie sie auch heute noch bei Insekten vorkommen: Eine große Anzahl von hexagonalen Facetten bildet das Auge. Unter jeder Facette befinden sich in der Regel acht Sehzellen. Vergleichbar mit dem Bild eines Computerbildschirms, das aus einzelnen Pixeln aufgebaut ist, wird aus den Einzelaufnahmen der Facetten ein Bild aufgebaut. Bei Libellen finden sich bis zu zehntausend einzelner Facetten. Um ein geschlossenes Bild zu ergeben müssen die Facetten sehr eng beieinanderliegen und neuronal zusammengeschaltet werden. 
Bei der Trilobiten-Unterordnung der Phacopinae, die jetzt untersucht wurde, sind die von außen zu sehenden Linsen der Facettenaugen jedoch deutlich größer, bis zu 1 mm im Durchmesser. Außerdem liegen sie weiter auseinander. Bis jetzt konnte die Wissenschaft dies nicht erklären, weil Raum verschwendet wird, in dem Licht eingefangen werden könnte. Bisher wusste man, dass unter der Linse ein kleiner Becher sitzt. Man vermutete, dass sich am Grund der Kapsel eine kleine Retina befindet, eine Netzhaut, die vergleichbar mit der des Menschen ist. 
Die Untersuchungen von PD Dr. Brigitte Schoenemann am 40 Jahre alten Röntgenbildarchiv von Wilhelm Stürmer legen nun eine andere Interpretation nahe: Es handelt sich um ein Hyper-Verbundauge. Jeder Phacopide hat zwei Augen, eins links, eins rechts. „Jedes dieser Augen besteht aus etwa 200 bis zu 1 mm großen Linsen“, so Brigitte Schoenemann. „Unter jeder dieser Linsen wiederum sind mindestens 6 Facetten aufgestellt, die zusammen jeweils wieder einem eigenen kleinen Facettenauge entsprechen. Wir haben also etwa 200 Facettenaugen (je eins unter jeder Linse) in einem Auge.“ Diese Unterfacetten sind entweder in einem Ring oder zwei Ringen angeordnet. „Darunter saß ein schaumartiges Nest, das wahrscheinlich ein kleines neuronales Netz war, das die Signale verarbeitete“, ergänzt die Zoologin. Die Filamente, die Stürmer gefunden hatte, stellten sich als Nerven heraus, die von den Augen ins Gehirn des Trilobiten führten. Anhand weiterer Untersuchungen mit moderner Computertomographie konnte Wissenschaftlerin diese Strukturen bestätigen.
Wilhelm Stürmer war der Leiter der Röntgenabteilung bei Siemens und ein begeisterter Paläontologe. Mit einem als Röntgenstation ausgerüsteten VW-Bus fuhr er von Steinbruch zu Steinbruch, um die Fossilien zu durchleuchten. Dabei entdeckte er unter anderem Strukturen, sogenannte Filamente, unter den Augen der Tiere, die er für Versteinerungen der Weichteile insbesondere des Sehnervs hielt. „Zu jener Zeit glaubte man, dass man nur Knochen und Zähne, die harten Teile von Lebewesen, in den Fossilien sehen konnte, nicht aber die Weichteile, wie zum Beispiel Därme oder Nerven“, erklärt Brigitte Schoenemann. Die Zoologin hat das Bildarchiv Stürmers von seinem Erben überreicht bekommen. Doch nicht nur den Sehnerv hatte Stürmer schon richtig erkannt, stellte die Forscherin fest: „Auf einem Röntgen-Negativ war mit rotem Kugelschreiber ein Pfeil aufgemalt, der auf die Struktur der sechs Unteraugen unter der Hauptlinse zeigt. Das deutet wohl darauf hin, dass Stürmer bereits das Hyper-Verbundauge erkannt hatte.“ Die Wissenschaft ging zu der Zeit jedoch davon aus, dass Nerven nicht fossilisieren und es so etwas wie Lichtleiter in biologischen Systemen nicht gäbe. Lichtleiter wurden erst in den 1980er Jahren in Facettenaugen von einem Tiefseekrebs gefunden.
Das nun gefundene Auge könnte eine evolutionäre Adaption an das Leben in schlechten Lichtverhältnissen sein, so Schoenemann. Mit dem doppelten Sehapparat könnte es eine viel höhere Lichtausbeute haben als ein normales Trilobitenauge. „Es könnte auch sein, dass die einzelnen Komponenten des Auges verschiedene Funktionen übernehmen, dass eine Kontrastverstärkung neuronal berechnet werden kann oder ein Farben-sehen ermöglicht wird“, sagt die Biologin. Bisher ist ein solches Auge nur bei der Trilobiten-Unterordnung der Phacopinae gefunden worden: „Das ist einzigartig im Tierreich.“ Evolutionär wurde dieses Augensystem nicht weitergeführt, denn die Trilobiten der Unterordnung Phacopinae starben am Ende des Devons vor 360 Mio. Jahren aus. 
 


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