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Kranke Pflanzen und falsches Parfüm lassen sich schnell, zuverlässig und in Echtzeit identifizieren

Neue Methode deckt chirale Moleküle in einem Gasgemisch mit hoher Empfindlichkeit auf

Peer-Reviewed Publication

Johannes Gutenberg Universitaet Mainz

image: At the core of the new device is an optical chiral polarimeter with which it is possible to determine the chiral signature of components accurately and precisely even in the gaseous phase. view more 

Credit: photo/©: Lykourgos Bougas, JGU

Ob ein Parfüm echt oder gefälscht ist, verrät die chirale Signatur des Duftes. Ebenso kann die chirale Signatur des Geruchs einer Pflanze Auskunft darüber geben, ob sie gesund oder krank ist. Dies haben Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) mithilfe einer neuen Technik entdeckt. Da die meisten natürlichen chiralen Substanzen in zwei spiegelbildlichen Formen vorkommen, die natürlicherweise in unterschiedlichen Mengenverhältnissen entstehen, muss jede Pflanze und jedes Parfüm eine eigene chirale Charakteristik haben. Das Forschungsteam konnte mit der Methode die chiralen Verbindungen in einem Gasgemisch erstmals mit hoher Empfindlichkeit und in Echtzeit identifizieren.

"Die neue Technik hat ein enormes Potenzial, sowohl in der Landwirtschaft als auch in der chemischen Industrie", sagt Dr. Lykourgos Bougas von der JGU. Prof. Dr. Jonathan Williams vom MPIC ergänzt: "Neben den industriellen Anwendungen wird uns diese Technik auch ermöglichen, die chiralen Signale in der Luft zu entschlüsseln, um die Chemie der Atmosphäre besser zu verstehen." Die Kooperationspartner haben gemeinsam ein Patent auf die Methode angemeldet.

Natürliche Duftstoffe unterscheiden sich von synthetischen

Chiralität ist eine häufige Eigenschaft in der Natur. Ein Beispiel sind unsere beiden Hände. Ebenso existieren viele Bio-Moleküle in zwei spiegelbildlichen Formen und sind nicht deckungsgleich. Dies kann sich auf die biochemische Funktion auswirken, ähnlich wie die rechte Hand nicht in einen linken Handschuh passt. Ein Fall sind die Emissionen von Pflanzen, die mehrere chirale Verbindungen enthalten, die natürlicherweise sowohl in der D- als auch in der L-Form vorkommen. Ein Beispiel ist das chirale Molekül Pinen, das für den charakteristischen Geruch von Kiefern und Pinien verantwortlich ist. Das Verhältnis der beiden Formen von Pinen variiert jedoch bei Pflanzenemissionen und ist auch davon abhängig, ob eine Pflanze gesund oder geschädigt ist.

Ein weiterer Fall sind komplexe Mischungen aus natürlichen und synthetischen Inhaltsstoffen wie Parfüms. Die chiralen Bestandteile kommen in beiden Varianten, der D- und der L-Form, vor, aber bei natürlichen und synthetischen Inhaltsstoffen in unterschiedlichen Verhältnissen. Da natürliche Komponenten in nachgeahmten Parfüms oft durch synthetische ersetzt werden, haben die Plagiate eine andere chirale Signatur als die Originale.

Forschungsarbeit erfolgte im Rahmen von ULTRACHIRAL

Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts ULTRACHIRAL haben die Mainzer Wissenschaftler die "Hohlraum-verstärkte Polarimetrie" zur optischen Chiralitätsanalyse entwickelt. Dabei nutzen sie die Eigenschaft chiraler Moleküle, polarisiertes Licht unterschiedlich zu drehen. Eine Probe eines Pflanzen- oder Parfümdufts wird dazu in eine kleine Kammer gefüllt, mit Licht bestrahlt und mit einem für Chiralität sensitiven optischen Polarimeter analysiert, um die Drehung von polarisiertem Licht zu messen. Dabei erreichten die Forschenden eine Empfindlichkeit, die um Größenordnungen besser ist als der aktuelle Stand der Technik.

"Unser neuartiger Ansatz für die chirale Analyse liefert uns genaue Ergebnisse, und dies schneller und empfindlicher als die herkömmlichen Verfahren und ohne dass vor jeder Messung eine Kalibrierung notwendig ist. Außerdem können wir unsere Technik mit der Gaschromatographie kombinieren, die auch die einzelnen Komponenten voneinander trennen kann. Damit lässt sich die chirale Form jeder einzelnen Komponente in einem komplexen Gemisch direkt und genau identifizieren", sagt Dr. Lykourgos Bougas, Physiker an der JGU sowie Erstautor einer Studie, die vor Kurzem im Wissenschaftsmagazin Science Advances erschienen ist. Darin stellt das Autorenteam auch eine Reihe von Anwendungen für das Nachweisverfahren vor.

Ein Beispiel ist die bisher sehr aufwendige Qualitätskontrolle von Parfüms, die aus mehreren hundert oder sogar tausend natürlichen und synthetischen Inhaltsstoffen bestehen. Für die Studie haben die Forschenden vier bekannte Markenparfüms mit billigeren Kopien verglichen. Mit einer einzigen schnellen Messung konnte das Mainzer Team die hochwertigen Originale anhand ihrer chiralen Signaturen von den Plagiaten unterscheiden.

Anwendung auch im Pflanzenbau zur Überwachung von Gesundheit oder Schädlingsbefall möglich

Auch für die Landwirtschaft kann die Technik von großem Interesse sein. Anhand einer jungen Kiefer hat das Forschungsteam gezeigt, dass sich die chirale Signatur ihrer Emissionen abrupt ändert, sobald die Pflanze beschädigt wird. Die chirale Charakteristik variiert aber auch, wenn die Pflanze unter Trockenstress leidet oder krank ist. Dieses Phänomen könnte in der Praxis genutzt werden, indem beispielsweise Kulturpflanzen kontinuierlich überwacht werden und ein Alarm anzeigt, ob die Pflanzen unter Insektenbefall, Trockenheit oder Krankheiten leiden.

Darüber hinaus kann die Technik helfen, Erkenntnisse über die physikalischen und chemischen Prozesse in der Erdatmosphäre zu gewinnen. So geben Wälder große Mengen von flüchtigen organischen Verbindungen in die Atmosphäre ab, von denen viele chiral sind. Diese Moleküle beeinflussen sowohl die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Atmosphäre als auch das Klima. Sie können aber auch Vorläufer von sekundären organischen Aerosolen sein, die sich auf die Wärmebilanz der Erde auswirken. "Die Rolle der Chiralität bei all diesen Prozessen ist nach wie vor ziemlich unklar. Um sie zu verstehen, brauchen wir neue Instrumente und Ansätze wie die, die wir in unserer Arbeit vorstellen", sagt Bougas.

Damit die neue Methode leichter für die diversen Anwendungen eingesetzt werden kann, hoffen Dr. Lykourgos Bougas und Prof. Jonathan Williams, dass sie in Zukunft auch zu einem tragbaren Gerät weiterentwickelt wird.


Weiterführende Links:
https://www.mpic.de/ – Max-Planck-Institut für Chemie ;
https://cordis.europa.eu/project/id/737071 – EU-Projekt ULTRACHIRAL


Kontakt:
Dr. Lykourgos Bougas
Quanten-, Atom- und Neutronenphysik (QUANTUM)
Institut für Physik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
und
Helmholtz-Institut Mainz (HIM)
55099 Mainz
Tel.: +49 6131 39-29633
E-Mail: lybougas@uni-mainz.de
https://budker.uni-mainz.de/?page_id=70

Prof. Dr. Jonathan Williams
Abteilung Atmosphärenchemie
Max-Planck-Institut für Chemie
Hahn-Meitner-Weg 1
55128 Mainz
Tel.: +49 6131 3054500
E-Mail: jonathan.williams@mpic.de
https://www.mpic.de/3538105/Williams_Group


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